„Zu Ovids Werken haben wir Zugang und wir können etwas anfangen damit“. Mit diesen Worten fasste Professor Heldmann vergangenen Donnerstag, 27. April, im Forum Johanneum einschlägige Klassiker-Definitionen wie die Gadamers knapp und prägnant für Ovid zusammen, und zwar für ein ungewöhnlich großes Publikum in unserer Ehrenhalle – fast schon zum weiteren Beweis dieser These. Diese galt für das WIR von nun schon 2000 Jahren nach Ovids Tod 17 n. Chr. – nahezu kontinuierlich! Wer Ovids Werk, insbesondere seine Metamorphosen nicht kennt, der – so formulierte der ausgewiesene Kenner ovidischer Dichtung die Konsequenz dieses Wirkens – „muss sich in den bedeutendsten Kunstmuseen der Welt ziemlich verloren vorkommen“. Und doch ist das, was wir in den bildenden Künsten der Neuzeit über die Göttergeschichten aus Ovids Metamorphosen rezipiert finden, nicht eins zu eins Ovid. Diese nicht selten unbemerkten Veränderungen der ovidischen Erzählungen in den Werken Tintorettos, Tizians und Correggios bedeuteten in Professor Heldmanns klarer wie kritischer Sprache Schülern, Eltern, Ehemaligen, Lehrern und Gästen anderer Schulen gleichermaßen ein großes intellektuelles Vergnügen. Vielen Dank!

H In actioneH Heldmann vor PublikumBesonders faszinierend zu hören und sehen war für das Forumspublikum, dass in der Verharmlosung, Verkürzung und neuen Fokussierung der frühneuzeitlichen bildenden Künste oftmals genau das Gegenteil von Ovid erzählt wird und damit die Botschaft wieder verkehrt, die doch gerade der Meister des Neuerzählens selbst, Ovid, auf Grundlage von ihm tradierten Mythos und Homerischer Erzählung verkehrt hatte. So gibt es bei Ovid – wie der emeritierte Kieler Professor am ersten Beispiel in seinem Vortrag vorführte – keine schuldbewusste Venus, nachdem sie ihrem Ehemann Vulcanus in flagranti mit ihrem Liebhaber Mars ins Netz gegangen war. Statt einer Wiederherstellung der Moral wie bei Homer findet sich in den Metamorphosen ein allseits verlachter Ehemann und eine nach der Offenlegung nun umso unbeschwerter ausgelebte Affäre: „Liebende darf man beim Lieben nicht stören, auch der Ehemann nicht“, ist in Heldmanns Worten Ovids Fazit. Während der italienische Maler Cedini in diesem Sinne in einem Bild von 1800 das Netz des Vulcanus als schützendes Zelt über Venus und Mars spannt, muss sich Mars bei Tintoretto völlig gedemütigt unter einem Tisch versteckt von einem Hund entdecken lassen. Die Venus-Rezeption gestaltet sich damit in der Ovidtreue noch relativ ausgewogen, dagegen ist die Macht der Umdeutung Ovids in den bildenden Künsten beim Iuppiter amans besonders augenfällig. Sie haben, so Professor Heldmann, Iuppiter zum Liebesabenteurer gemacht. Damit sind sie „Ovid ziemlich auf den Leim gegangen“; bei ihm ist weder von Liebe und Liebesleidenschaft noch vom großen Abenteuer die Rede: Iuppiter befriedige lediglich seinen Geschlechtstrieb, und das nicht selten auf sehr plumpe Art, kurz: mit wenig List und viel Gewalt. In der Europa-Geschichte, Ovids erzählerischem Meisterstück und einem der aktuellen Forschungsgebiete unseres Gastredners (In seinem neuesten Buch weist er nach, dass es sich bei der Entführung Europas um einen Brautraub handelt), wird aus der Majestät des Götterkönigs ein „degoutant“ muhendes Rind. Was für Ovids zeitgenössische Leser und Hörer ein gewaltiges „intellektuelles Vergnügen“ bedeutete, war den Künstlern der Neuzeit kein Thema. Der sexsüchtige Stier kommt hier genauso wenig vor wie die zahllosen Vergewaltigungen des Göttervaters. Während Callisto bei Tischbein als „Idealbild von Männerphantasien“ gestaltet selbst von ihrem Peiniger ablenkt, wird Io bei Correggio sogar in den Fängen ihres in eine Nebelwolke gehüllten Peinigers selbst von Leidenschaft überwältigt. Einen skrupellosen Vergewaltiger Iuppiter gibt es hier nicht, was Professor Heldmann zum einen mit einer Überforderung der Künstler der frühen Neuzeit erklärt - Vergewaltigung ist ein Tabu – als auch zum anderen damit, dass die Kunst hier aus der männlichen Perspektive erzählt. Dass dies zum Skandalon werden konnte, zeigte er an einer renommierten Übersetzung der Metamorphosen aus dem 19. Jh.: In der Io-Episode heißt es für „rapuit pudorem“ „wurde ihr Gatte“ . Die Kunst der frühen Neuzeit – das sah das Forumspublikum dank Professor Heldmann noch einmal deutlich - gestaltet zahllose reizende Liebesszenen, die Ovid gar nicht erzählt. Bei der Grausamkeit der Götter aber sind viele Künstler, wie im dritten Vortragsteil präsentiert, sehr ovidtreu. Erst dieser große Erzähler habe in einem in augusteischer Dichtung noch unbekannten „grausigen Realismus“ die bestialischen Strafen der Götter in den mythischen Geschichten herausgestellt: Aktäon, Niobe, Marsyas. Gerade die Schindung des letzteren ist – wie auch am Beispiel im Vortrag anschaulich gemacht - in den bildenden Künsten der frühen Neuzeit bis heute sehr präsent.

Mit großer literarischer Leidenschaft stellte Ovid die Frage des Warum an den Mythos und beantwortete sie mit vielfältigsten originellen Motiven für die Götterhandlungen in ihm. Hinsichtlich seiner Gründe für die konkreten Gestaltungen und ‚Erfindungen‘ lässt sich die Frage des Warum nach Heldmann nur hypothetisch beantworten: Ein politischer Dichter sei er nicht gewesen, so dass beispielsweise auch die viel diskutierten Gründe für seine Iuppiterdarstellung nur sehr marginal in dessen Beziehung zu Kaiser Augustus zu suchen und zu finden seien, aber eben ein Dichter sei er gewesen – mit großer Erzähllust und höchster Erzählkunst. Er wollte ironisieren, provozieren und schockieren, um der Macht der Kunst willen. Und hat er sich auf der politischen Bühne gegenüber der Macht des Kaisers mit seiner des Literaten wohl überschätzt, so wusste er genau um seine absolute Macht als Künstler: „super alta perennis astra ferar, nomenque erit indelebile nostrum [...] perque omnia saecula fama [...] vivam.“ (Met. XV 875-879) Recht hat er: Er ist „einer der bedeutendsten Autoren der Weltgeschichte“. 2000 Jahre nach seinem Tod sitzen etliche Schüler, Eltern, Ehemalige, Lehrer und Gäste im Forum Johanneum, um sich dies wieder einmal beweisen zu lassen. Professor Heldmann ist der Beweis – wie nicht anders erwartet – auch bei seinem heterogenen Forumspublikum mehr als gelungen. Vielen Dank, dass Sie unser Gast waren ... und dem besonderen Ruf einer ehemaligen Studentin damit gefolgt sind!