• Prof. Dr. von Stutterheim im Forum Johanneum über das Verhältnis von Sprache und Denken

Beim Tatort 'Sprache', den es am 14. Februar in unserer Bibliothek zu erleben gab, waren auch unsere Quoten gut. Als Prof. Dr. Christiane von Stutterheim, Psycholinguistin der Universität Heidelberg, ihre Ergebnisse sprachvergleichender experimenteller Untersuchungen zum Verhältnis von Sprache und Kognition vorstellte, war unser Forum Johanneum nicht nur voll, sondern 'voll' gebannt und begeistert. Vor allem die zahlreichen Schülerinnen und Schüler aus den Jahrgängen 8, 11 und 12, die unter den Zuhörern und -schauern waren, staunten, wie spannend Sprachwissenschaft sein kann und welche wesentlichen Fragen sie zu beantworten versucht: Wie tiefgreifend prägt die Sprache unsere Denkmuster? Können wir mit dem Erwerb anderer Sprachen neue kognitive Muster aufnehmen? Wie eng hängen Sprache und Kultur zusammen? Fasziniert verfolgte das Publikum den Krimi: Wessen Blick richtet sich ,verdächtig' oft auf die kritische Region? Ausgang der aufregenden Ermittlungen: Alle tun es, alle sind die Täter - außer einer ...

Bei der ,kritischen Region' handelt es sich nämlich um den angenommenen Endpunkt bzw. Zielpunkt einer Bewegungshandlung, die Probanden verschiedener Muttersprachen in kurzen Videofilmen gezeigt wurde. Fährt z.B. in einem nur wenige Sekunden laufenden Film ein Auto auf einer Landstraße in Richtung auf ein sich durch wenige Häuser ankündigendes Dorf, beantworten die Probanden die Frage nach dem Gesehenen ganz unterschiedlich, und zwar abhängig vom Aspektkonzept ihrer Sprache. "Sie wählen für die sprachliche Darstellung ein und derselben Situation nicht nur unterschiedliche Inhalte aus." Mittels Eye Tracker erbrachte Frau von Stutterheims Forschungsteam den Nachweis, dass das Sehen der Bewegungshandlung bzw. das Aufmerksamkeitsmuster bei den verschiedenen Muttersprachlern auch verschieden ist. Verweilt der Blick des Engländers, Spaniers und Arabers, deren Sprachen unterschiedlich viele Aspekte einer Handlung, also die Sichtweisen auf sie, unterscheiden, relativ fokussiert auf dem sich bewegenden Objekt Auto, hält sich der Blick des Deutschen und Niederländers vor allem in der kritschen Region auf: Das Deutsche und Niederländische haben kein grammatisches Aspektkonzept, so dass dIe Kognition ihrer Sprecher kaum auf die Bewegungshandlung gerichtet ist, sondern diese im Zusammenhang des ,ganzen Bildes' einzuordnen sucht und vor allem den Endpunkt sucht. Das konnte jeder spontane Proband, zu dem man als Zuhörer automatisch wurde, sich selbst eindrücklich beweisen, indem er sich wieder und wieder mit seinen Augen quasi auf frischer Tat in der kritischen Region ertappte. Dass die kulturellen und kognitiven Denkmuster durch die Muttersprache immer dominant sind und bleiben, brachte Frau von Stutterheim mit ihren Videobeispielen ebenfalls direkt vor aller Augen und Ohren, diesmal ungeplant und spontan. Eine japanische Muttlersprachlerin im Publikum bemerkte, dass sie auch nach mehreren Jahrzehnten in Deutschland, die Videos von fahrenden Autos, berittenen Pferden und hofwatschelnden Gänsen auf die Bewegung fokussiert sieht und End- und Zielpunkt im Gegensatz zum restlichen Publikum gar nicht wahrgenommen habe. Damit verblüffte sie alle Forumsbesucher und nicht minder sich selbst. Gehörte sie also ausnahmsweise nicht zu den Tätern, so doch ganz entscheidend zum Personal des Psychokrimis Psycholinguistik, den die Besucherinnen und Besucher unseres Forum Johanneum genießen durften. Vielen Dank der weit gereisten Referentin für den auf- und anregenden Vortrag und dem Ehemaligenverein, der ihn maßgeblich ermöglichte!Mt_gallery:FJ_Stutterheim